Das Attentat von Sarajewo: Propaganda und Pogrome gegen Serben

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In der Satzung der UNESCO steht geschrieben: „Alle Kriege beginnen nicht auf dem Schlachtfeld, sondern in den Köpfen der Menschen.“ Währen des Ersten Weltkrieges wurde vollkommen klar, welch gigantischen Resultate eine richtig eigestellte Propaganda zeitigen kann.


Die österreichischen Zeitungen flößten den Lesern ein, die Ermordung von Erzherzog Franz Ferdinand sei nicht nur von exaltierten Fanatikern verrichtet worden, die vernuteten, sie würden damit der serbischen Idee dienen, sondern auch von einflussreichen serbischen Politikern. Die Agitation wurde derart effektiv geführt, dass daraus sowohl Pogrome gegen Serbien als auch Demonstrationen vor der serbischen Botschaft in Wien resultierten.

Wenn jemanden Zweifel beschlichen hatten, ob Serbien sich tatsächlich auf solch ein gefährliches Spiel mit dem stärkeren Österreich eingelassen habe, so wurde ihm erklärt, hinter Serbiens Rücken stünde ja immer Russland. „Am Abend der Ermordung des Thronfolgers zog sich bis tief in die Nacht ein Festgelage beim russischen Gesandten hin“, schrieben österreichische Zeitungen. Mit solchen Informationen spekulierten sie auf die Schaffung einer unruhigen Geisteshaltung im sterbenden Österreichisch-Ungarischen Reich.


Über die Manipulation der Reichspropaganda schrieb auch die russische Presse. Die Zeitung „Russischer Anzeiger“ merkte am 21. Juni 1914 an: „Und tatsächlich: als am 20. Mai das Gerücht auftauchte, in Belgrad sei die österreichische Botschaft gesprengt worden, haben das viele geglaubt. Und schon waren Befürchtungen im Umlauf: Jetzt gibt es Krieg! Es gibt keinen Ausweg!


Die Folgen solch propagandistischen Drucks waren fürchterlich. Dazu schreibt der „Russische Anzeiger“ am 19. Juni 1914: „Die furchterregenden Ausmaße der antiserbischen Demonstration zwingen die vernünftig denkende Presse dazu, auf die Gefahr der Agitation zu verweisen, die von chauvinistischen Organen angestachelt wurde. Letztere beschuldigen Serbien, und hängen da auch gleich noch Russland dran. Die serbische Regierung begünstigt ohne Zweifel keine Verschwörungen, obwohl sie wenig dafür tut, um die antiösterreichische Agitation aufzuhalten, die die serbische Jugend vergiftet. Aber man darf wegen des Verbrechens von einzelnen exaltierten Personen nicht einen ganzen Staat verfolgen. Am dritten Tag nach dem Attentat haben die Massen unter Teilnahme von Jugendlichen die Botschaft belagert und „Nieder mit Serbien!“ gerufen. Manchmal gesellten sich auch Rufe „Nieder mit Russland!“ dazu. Es wurden serbische Flaggen verbrannt. Von der Botschaft verdrängt, zogen die Demonstrationen zur Kirche. Sie versuchten auch, zur russischen Botschaft durchzudringen. Die Gesandtschaften Serbiens und Russlands wurden von verstärkten Polizeikräften bewacht.


Zu der Zeit beginnen Pogrome in Sarajewo und in ganz Bosnien und Herzegowina. „Die Meldungen aus Sarajewo zeichnen ein Bild furchtbarer Zerstörung. Der Hof des serbischen Metropoliten wurde zertrümmert. Es wurde der Belagerungszustand ausgerufen. Viele wurden verhaftet. Anstifter der Pogrome waren muslimische Jugendliche, die unter dem Gesang der Hymne marschierten. Der Präsident einer serbisch-radikalen Oppositionsgruppe wurde verhaftet. In Zagreb und Mostar gab es ebenfalls Demonstrationen und Schreie: „Nieder mit der serbo-kroatischen Koalition!“ Viele bosnische Serben sind nach Serbien ausgewandert“,schreibt der „Russische Anzeiger“ in seiner Nummer 142 vom 19. Juni 1914, und zwei Tage später beschreibt er das Geschehen bereits ausführlicher: „Inzwischen tauchte eine Gruppe kroatischer Jugendlicher und Schüler in den Straßen von Sarajewo auf, die schrien: "Es leben die Habsburger!". Nach und nach wurde die Menge größer. Schreie wurden laut: "Nieder mit den Serben!" Den Jugendlichen schloss sich der muslimische Mob an, der sich augenscheinlich von der Ungestraftheit verleiten ließ. Keiner der Verbrecher wurde verhaftet. Erste Opfer des Pogroms waren serbische Geschäfte. Ihr ganzes Viertel wurde verwüstet. Danach fing die von der Zerstörung berauschte Masse an, jene serbischen Ämter und Wohnungen zu zerstören, wo sie Wertsachen vermuten konnte. Im Endeffekt ist kein einziges serbisches Haus heile geblieben. Auf den Straßen lagen zuhauf Wände aus den zerstörten Läden, Möbelreste und andere Spuren des Pogrom. Die Ausschreitungen waren erst am Abend zu Ende, als der Kriegszustand ausgerufen wurde. Die Polizei, an der es nicht mangelte, (es waren allein 1.000 Gendarmen für die Ankunft des Kronprinzen in Sarajewo zusammengezogen worden), griff kaum ein.


"Wer nicht wusste, was gestern passiert ist“, schreibt ein Korrespondent der Wiener Zeitung "Neue Freie Presse" am Tag nach dem Attentat. „würde denken, hier sei ein Erdbeben gewesen.“


Aber ein ganzes Volk kann nicht die Verantwortung für die Handlung von ein paar Personen tragen! Deshalb merkt der Korrespondent des „Russischen Wortes“ betrübt an:„Wenn diese Äußerung von nationalem Hass auch Schrecken einflößt, mildert dieser Schrecken keineswegs den abstoßenden und schändlichen Charakter jener Handlungen, mit denen die sogenannten „loyalen“ Elemente Bosniens und Kroatiens auf das geschehene Ereignis reagieren, soll heißen: der gegen Serbien gestimmte Teil der kroatischen Katholiken und Muslime, die danach streben, der Regierung ihre Treue zu bekunden. Im bosnischen Sejm sind die willfährigen Elemente bereit, ihrer garantierten Verfassungsrechte zu entsagen, um der Regierung die Möglichkeit zu geben, die bekanntesten Parlamentsvertreter der serbischen Bevölkerung zu verhaften. Anders gesagt: auf das entschlossene Handeln gegen „die „großserbische Propaganda“ zielend, soll Serbien anschaulich gezeigt werden, dass die Lebensbedingungen innerhalb der Habsburger Monarchie unverhältnismäßig schlechter werden können, als sie es bisher gewesen sind.


So begannen die ersten Serbenpogrome des 20. Jahrhunderts.

 

Milena Zmiljanitsch

 

Foto: © Foto: AFP

Quelle: http://german.ruvr.ru/2013_11_18/Das-Attentat-von-Sarajewo-Propaganda-und-Pogrome-gegen-Serben-1520/

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