Hintergrund-Analyse: CIA-Proxy-War in der Ukraine seit 1945
Die CIA musste nach dem Freedom of Information Act (FOIA) 3.800 Dokumente über den verdeckten Krieg in der Ukraine freigeben. Die CIA-Aktivitäten deckten zu Sowjetzeiten bereits ein breites Spektrum an Operationen ab, von der Unterstützung eines Bürgerkriegs bis zur Propagandaschlacht. Vieles erinnert an aktuelle Strategien in Syrien und anderen Ländern.
Der amerikanische Spezialist für Geheimdienste, Wayne Madsen, informierte in dieser Woche, dass es ihm gelungen sei, über 3.800 Dokumente aus den Kellern der CIA zu sichten. Dabei handelt es sich um Akten, die den geheimen Krieg der dunklen Mächte in der ukrainischen Sowjetrepublik betreffen. Wayne Madsen berichtet von zwei großen Operationen nach 1945. Am Anfang stand die Unterstützung von Rechtsradikalen und Nationalisten, um einen Bürgerkrieg zu entfachen.
Madsen spricht von einer „Strategie der Nazifizierung“, da sich die Operation wesentlich auf Anhänger von Stephan Bandera aus dem II. Weltkrieg stützte. Angelegt waren die Operationspläne auf über 40 Jahre. Sie begannen als eine paramilitärische Operation für die Finanzierung und Ausrüstung von antisowjetischen Rebellen in der Ukraine. Das Ziel bestand in der Frühphase darin, die Ukraine zu destabilisieren. Ab den 1960er Jahren wandelte sich die Operation hin zu verschiedenen Propagandaaktivitäten.
Im Mittelpunkt der Recherche steht das Projekt Aerodynamic, zu dem mehrere einzelne Operationen wie „Capacho“ gehörten. Die CIA stützte sich auf Exil-Ukrainer, die im Westen lebten und in die Ukraine gebracht wurden. Als Ansprechpartner der amerikanischen Geheimdienste nennen die Akten den Ukrainian Supreme Liberation Council (UHVR), die Organization of Ukrainian Nationalists (OUN) und deren Guerilla-Truppe, die Ukrainian Insurgent Army (UPA). Zusätzlich baute die CIA gemeinsam mit dem britischen MI-6 einen politischen Partner im Westen auf, der nach außen sogar kritisch gegenüber Bandera auftrat, die ZP-UHVR.
Ein Top-Secret CIA-Dokument vom 13. Juli 1953 beschreibt Projekt Aerodynamic wie folgt:
„Der Zweck des Projekts Aerodynamic ist die Nutzung und der Ausbau eines antisowjetischen, ukrainischen Widerstands für den Kalten Krieg und für heiße Kriegszwecke. Dafür werden Gruppen wie der ukrainische „Oberste Rat der Befreiung“ (UHVR) und seine „Ukrainische Aufstandsarmee“ (UPA), sowie die Auslandsvertretung des ukrainischen „Obersten Rates der Befreiung“ (ZEPHYR) in Westeuropa und den Vereinigten Staaten sowie andere Organisationen wie die OUN/B genutzt.“
Bei der OUN/B handelte es sich um die Bandera-Fraktion der ukrainischen Nationalisten. Ihre Neonazi-Sympathisanten unterstützen heute in der Ukraine die aktuelle Regierung und haben Positionen in mehreren lokalen und regionalen Regierungen. Inzwischen zeigte die historische Aufarbeitung, dass die Behörden der USA nach dem Krieg zahlreiche Nazi-Kollaborateure und Kriegsverbrecher retteten, um sie gegen die Sowjetunion einzusetzen.
„Die OUN, UPA und auch die Waffen-SS Galizien wurden durch den gesamten Kalten Krieg von ihren Veteranen, die 1944 die Ukraine mit Deutschen verlassen hatten, als antikommunistische Helden verklärt und für den Kampf gegen die Sowjetunion instrumentalisiert.“
Wie diese Instrumentalisierung genau ablief, zeigen nun die von Wayne Madsen untersuchten Akten. Im Rahmen des Projekts Aerodynamic wurden Agenten innerhalb der Sowjetunion abgesetzt. Sie nahmen Kontakte mit der „ukrainischen Widerstandsbewegung“ auf. Die OUN verfügte über einen eigenen Geheimdienst, den SB, der die Kontakte herstellte. Die CIA setzte aus der Luft außerdem Funkgeräte, Ausrüstungsmaterial und Waffen ab. Die meisten Agenten erhielten ihr Training in Deutschland vom Militärgeheimdienst US Army’s Foreign Intelligence Political and Psychological (FI-PP). Die Kommunikation lief über die abgesetzten Funkgeräte und geheime Kuriere.
In der Westukraine kämpften etwa 30.000 UPA-Angehörige. Sie begannen nach 1945 einen blutigen Guerillakrieg, dem nach Einschätzung der CIA bis 1951 etwa 35.000 Menschen zum Opfer fielen. Diese Angabe stammt von Frank Wisner, dem Chef des CIA-Planungsstabs. Die terroristischen Operationen richteten sich nicht nur gegen Polizeikräfte und kommunistische Parteifunktionäre, sondern auch gegen die Zivilbevölkerung, darunter vor allem die überlebenden Juden.
Die deutsche „Organisation Gehlen“ und der spätere BND waren im Projekt Aerodynamic enge Kooperationspartner, wie Historiker Grzegorz Rossoliński-Liebe an anderer Stelle betonte. Kein anderer westlicher Geheimdienst unterstützte die Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) so intensiv wie der BND in München. Das OUN-Organisationszentrum in der Münchener Zeppelinstraße, wo Bandera bis zu seinem Tod 1959 wirkte, war nach dem Zweiten Weltkrieg einer der Sammelpunkte ukrainischer Faschisten.
Propaganda, Verlage und NGOs
Hintergrund-Analyse: CIA-Proxy-War in der Ukraine seit 1945
Die Dokumente zeigen, dass das Projekt Aerodynamic bis in die Amtszeit von Richard Nixon in den 1970er Jahren lief. Allerdings wandelte sich der Charakter der Operationen. Nach der militärischen Niederlage in der Ukraine in den 1950er Jahren, nahm das Programm eher die Form von psychologischer Kriegsführung an. Die CIA richtete eine Propagandakompanie in Manhattan ein, die antisowjetische Literatur für die ukrainischen Nationalisten druckte und vertrieb, das Material wurde in die Ukraine geschmuggelt. „Das neue Schlachtfeld“, schreibt Wayne Madsen, „waren nicht sumpfige Rückzugsgebiete in der Nähe von Odessa oder kalte verlassene Lagerhallen in Kiew, sondern das Zentrum der weltweiten Medienökonomie, seine Verlage und Rundfunkmedien.“
Dieser Schwenk zur Propaganda basierte möglicherweise auch auf Erfolgen, die die CIA in dieser Zeit in den USA und Westeuropa machte. Mit dem „Kongress für kulturelle Freiheit“ finanzierte der Geheimdienst zahlreiche Künstler und Schriftsteller für einen Propaganda-Kreuzzug gegen die Sowjetunion. Anders als in der Ukraine arbeitete die CIA hier hauptsächlich mit linken Kritikern des Sowjetsystems zusammen. Prominente Figuren auf der Gehaltsliste des amerikanischen Auslandsdienstes waren Arthur Koestler („Sonnenfinsternis“) oder auch die deutsche Kommunistin Ruth Fischer, eine ehemals linksradikale Kritikerin Moskaus.
Die Historikerin Frances Saunders stellte in ihrer Forschungsarbeit fest:
„Die CIA spielte bereits eine Weile mit dem Gedanken, dass wohl kaum jemand die Kommunisten besser bekämpfen konnte als ehemalige Kommunisten. Der kommunistische Mythos ließ sich ihrer Meinung nach nur zerstören, wenn man nicht-kommunistische Vertreter der Linken für eine Überzeugungskampagne mobilisierte.“
Das verdeutlicht zum einen, dass der Geheimdienst auch frühzeitig Proxy-Strategien bei der Propaganda verwendete und andererseits, dass es der CIA insgesamt völlig gleichgültig war, ob sie Nazis und Kriegsverbrecher oder aber linksradikale Gruppen für ihre Ziele einspannte.
Für die Ukraine, das zeigen die nun veröffentlichten Akten, nannte sich das scheinbar unabhängige CIA-Frontprojekt „Prolog Research and Publishing Associates, Inc.“. Später wurde dieser Verlag einfach in Prolog umbenannt. Der Verlag veröffentlichte in ukrainischer Sprache das Prolog-Magazin. Die CIA bezeichnete Prolog als ein „Non-Profit-Projekt, von der Steuer befreite Abdeckung durch eine Firma für ZP/HUVR-Aktivitäten“. Unter welcher „juristischen Person“ die CIA das Projekt laufen ließ, bleibt bis heute „Verschlusssache“. Allerdings zeigen die nun freigegebenen geheimen CIA-Dokumente, dass die Mittel für Prolog über das New Yorker Büro abgerechnet wurden.
Eine wichtige Rolle spielte natürlich das Büro in Bayerns Landeshauptstadt München. Wie aus den Dokumenten hervorgeht, wurde dessen Finanzierung über ein getrenntes Konto ausgewiesen. Im Jahr 1967 fusionierte die CIA die Aktivitäten der Prolog München und das Münchner Büro der verbannten ukrainischen Nationalisten, die Zeitschrift „Suchasnist“. Das Münchner Büro unterstützte auch die „Ukrainische Gesellschaft für Auslandsstudien“. Im Jahr 1969 begann Aerodynamic sich den Krimtataren und ihren Problemen zuzuwenden.
Die neue Zeit: Bis zum bitteren Ende
Als der internationale Luftverkehr zunahm, stieg auch die Zahl der Besucher aus dem Westen in der sowjetischen Ukraine. Diese Reisenden waren von großem Interesse für Aerodynamic. Reisende wurden von CIA-Agenten gebeten, konspirativ Prolog-Materialien in die Ukraine zu transportieren, die natürlich alle von der Sowjetregierung verboten waren. Später begannen die Aerodynamic-Agenten sich auch ukrainischen Besuchern in Osteuropäischen Ländern zu nähern, vor allem sowjetisch-ukrainischen Besuchern in der Tschechoslowakei während des «Prager Frühlings» von 1968. Die ukrainischen CIA-Agenten erhielten ebenfalls die Anweisung, subversive Literatur in die Ukraine zu bringen.
Aerodynamic lief unter dem Codenamen "Qrdynamic" in den 1980er Jahren weiter. Es wurde innerhalb der CIA vom Bereich „Politisches und psychologisches Personal für das sowjetische Osteuropa“ geleitet und führte eigene Covert-Action-Programme durch. Prolog erweiterte seinen Betrieb von New York und München nach London, Paris und Tokio. Qrdynamic begann in dieser Zeit, seine Operationen mit dem Hedge-Fonds-Tycoon George Soros zu verbinden. Dabei ging es vor allem um die Helsinki-Watch-Group in Kiew und Moskau, die George Soros finanzierte. Außerdem verteilten die Agenten Zeitschriften und Broschüren, Audio-Kassetten und selbstfärbende Stempel mit antisowjetischen Nachrichten, sowie Aufkleber und T-Shirts.
Zudem erweiterte Qrdynamic seine Tätigkeiten auch auf China. Die dortigen Agenten wurden offensichtlich aus dem Büro in Tokio geleitet. Weitere Schwerpunkte der Operation waren in den 1980er Jahren die Tschechoslowakei, Polen, Estland, Litauen, Lettland, Jugoslawien, Afghanistan, das sowjetische Zentralasien und die sowjetische Pazifik-Küste. Qrdynamic bezahlte auch Journalisten als Einfluss-Agenten für ihre Artikel. Diese Journalisten wurden in Schweden, der Schweiz, Australien, Israel und Österreich angeworben.
Als jedoch Mitte der 1980er Jahre Glasnost und Perestroika einsetzen, begannen sich die Perspektiven von Qrdynamic zu verschlechtern. Die hohen Kosten für die Miete in Manhattan führten dazu, dass das Projekt sich neue Räume in New Jersey suchen musste.
Die zuständige Staatssekretärin für Europa und Eurasien, Victoria Nuland, erklärte gut zwei Jahrzehnte später vor dem US-Kongress, dass die Vereinigten Staaten etwa fünf Milliarden US-Dollar investiert hätten, um Russland nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion die Kontrolle über die Ukraine zu entreißen.