SPD-Politikerin Högl: Köln sorgt für Zündstoff
Nach den Übergriffen in Köln geht es nun für Staat und Gesellschaft darum, sich umso mehr für Recht und Sicherheit im Lande einzusetzen, so die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Eva Högl. Sie ist gegen „Rabatt“ für etwaige ausländische Täter und für AfD-Beobachtung durch Verfassungsschutz. Ein Interview.
Frau Högl, das Jahr 2016 wird wahrscheinlich das Jahr, in dem für die Integration von hunderttausenden Menschen die Weichen gestellt werden müssen – das sagte ihr Kollege Thomas Oppermann bei der vergangenen SPD-Fraktions-Klausurtagung. Wird das nach den Vorkommnissen in Köln an Silvester jetzt in der Gesellschaft noch schwieriger?
Die Vorkommnisse von Köln sind schrecklich und müssen komplett aufgeklärt werden. Die Täter müssen ermittelt und dann auch bestraft werden, die betroffenen Frauen müssen geschützt werden. Aber wir müssen im großen Zusammenhang über das Thema Integration sprechen. Wir wissen, wenn Menschen zu uns kommen, dann sind nicht alle nett und freundlich, aber nun geht es darum, viele hunderttausend Menschen in Deutschland gut zu integrieren, weil sie Schutz suchen, weil ihnen Folter und Verfolgung droht, weil in ihren Heimatländern Krieg herrscht. Denen wollen wir hier Schutz geben und auch eine Perspektive in unserer Gesellschaft.
Aber als Sie die ersten Meldungen über die Ereignisse an Silvester gehört haben — denkt man sich da als Politiker: oha, das wird noch für Zündstoff sorgen?
Natürlich, das sorgt ja auch für Zündstoff und das ist ja auch richtig so. Zu Recht sorgt dass in unserer Gesellschaft für Empörung, dass das an der Silvesternacht in Köln auf der Domplatte überhaupt geschehen konnte und nicht verhindert wurde. Und dann sorgt zu Recht für Empörung, dass das Menschen waren, die hierher kommen, weil sie tatsächlich oder vermeintlich Schutz suchen. Ich warne davor, jetzt Sonderregelungen zu schaffen. Es darf keinen Rabatt für Täter geben. Jeder Täter wird angeklagt und verurteilt werden. Das sind unsere Regeln und an die müssen sich alle halten, auch und vor allem die, die zu uns kommen.
Gestern ist der NRW-Innenminister Ralf Jäger vor die Kameras getreten, er schiebt einen Großteil der Verantwortung auf die Kölner Polizei. Dass die Polizei Konsequenzen aus Köln ziehen muss, scheint klar, aber muss das nicht auch die Politik?
Ich warne immer davor, immer sofort schnelle Antworten zu geben. dass ist nämlich keine angemessene Reaktion. Man muss natürlich aufklären, wer hat in der Silvesternacht in Köln welche Fehler gemacht. Es ist ziemlich offensichtlich, soweit ich das aus der Ferne betrachten kann, dass die Polizei nicht ausreichend handlungsfähig war, um die Frauen wirksam zu schützen, um die Ansammlung auf der Domplatte schnell aufzulösen und weitere Straftaten zu verhindern. Diese Fehler müssen analysiert werden. Wir im deutschen Bundestag überlegen natürlich auch, ob unsere Gesetze ausreichen, ob sie konsequent genug angewandt wurden. Ich würde erstmal davon absehen, irgendwelche Rücktritte zu fordern. Denn damit ist niemandem geholfen. Ralf Jäger ist ein guter, engagierter Innenminister, und er wird seinen Teil dazu beitragen, auch ordentlich aufzuklären und die richtigen Konsequenzen zu ziehen.
FDP-Chef Christian Lindner spricht aber sogar von einem Staatsversagen, die CDU fordert als Konsequenz eine Gesetzesänderung. Warum ist die SPD dagegen?
Wir haben schon vor Köln darüber gesprochen, ob unser Instrumentarium ausreicht, um kriminelle Ausländer auch des Landes zu verweisen. Wir hatten, und das ist erst am 11. Januar in Kraft getreten, unser Ausweisungsrecht bereits verschärft. Kriminelle Ausländer können ausgewiesen werden, wenn sie Freiheitsstrafen von bis zu einem Jahr verbüßen müssen. Wir werden jetzt darüber diskutieren, ob wir diese Schwellen gegebenenfalls absenken, da ist eine Einigung bereits auf einem guten Weg. Justizminister Heiko Maas und Innenminister de Maiziere haben sich bereits verständigt und auch wir in den Fraktionen sprechen darüber. Also ich sage ganz deutlich: Unser Staat ist handlungsfähig, sowohl Polizei als auch die anderen Sicherheitsbehörden, auch die Politik ist handlungsfähig, und es ist keine Notwendigkeit, jetzt von einem Staatsversagen zu sprechen.
Klar ist, nicht nur die Politik ist zurzeit gespalten, auch die Gesellschaft scheint es zu sein: Seit Silvester gibt es wieder erneute Übergriffe auf Ausländer und Asylbewerber, von der Schwemme an Hassbotschaften im Netz ganz zu schweigen. Mit welcher Sorge blicken Sie auf die Entwicklungen am so genannten „rechten Rand“?
Mit großer Sorge, und zwar schon sehr lange. Ich habe mich ja mit dem Thema Rechtsextremismus viele Monate intensiv beschäftigt im Zusammenhang mit den NSU-Straftaten. Wir hatten einen NSU-Untersuchungsausschuss und haben jetzt einen weiteren Untersuchungsausschuss im deutschen Bundestag.
Die Rechtsextremen sind sehr gewaltbereit und sehr gut vernetzt. Sie verüben Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte, Flüchtlinge, auch auf Helfer. Jeden Montag haben wir die rechtextremen Demonstrationen von PEGIDA, AfD und anderen und deshalb bin ich im höchsten Maße alarmiert, wie auch meine Kollegen und Kolleginnen. Wir sind dabei, dass wir unsere Sicherheitsbehörden so gut ausstatten, dass wir sagen können, Rechtsextremismus hat in unserem Land keinen Platz. Ich möchte auch noch einmal deutlich sagen, dass wir auf keinen Fall zulassen dürfen, dass Zuwanderer und Flüchtlinge angegriffen werden.
Zumindest die AfD erlebt nach dem Kölner Silvesterabend, aber auch schon in den vergangenen Monaten, vermehrten Zulauf. Bereits vor Ihrer SPD-Klausurtagung Ende vergangener Woche wurden in Ihrer Partei die Stimmen laut, man sollte die AfD vom Verfassungsschutz beobachten lassen. Ist das tatsächlich eine Lösung?
Ja, die Forderung habe ich auch miterhoben, und wir haben das auch in unser Bundestagspapier zur öffentlichen Sicherheit geschrieben, weil ich es für wichtig halte, alle Entwicklungen in unserer Gesellschaft im Blick zu haben. Wir wissen, dass die AfD auch viele Mitglieder hat, die rechtsextrem sind, dass auf AfD- Veranstaltungen auch rassistische und rechtsextreme Parolen gesprochen werden. Deshalb möchte ich, dass der Verfassungsschutz genau hinschaut, ob es Tendenzen gibt zur Verfassungsfeindlichkeit. Denn was nicht wieder passieren darf, so wie damals beim NSU, dass eine Entwicklung verschlafen, nicht erkannt und nicht gesehen wurde. Deshalb möchte ich, dass unser Verfassungsschutz aufmerksam in beide Richtungen schaut.
Abschließend, Frau Högl: Wenn man sich die aktuellen Geschehnisse in Deutschland anschaut, ist Multi-Kulti gescheitert, wie es auch die Kanzlerin schon erklärte, oder geben Sie dem noch eine Chance?
Multi-Kulti ist nicht gescheitert, es bekommt eine neue Chance, vielleicht unter einem anderen Label. Wir wollen auf jeden Fall als SPD große Schritte nach vorne machen in Richtung Integration. Wir sind ein Einwanderungsland, zu uns kommen jedes Jahr viele hunderttausend Menschen. Wir heißen diese Menschen nicht nur willkommen, wir brauchen sie auch. Wir brauchen mehrere hunderttausend Menschen, um unseren Wohlstand hier aufrecht zu halten.
Zuwanderung ist für Deutschland wichtig. Jetzt kommt es darauf an, diese Menschen gut in unsere Gesellschaft zu integrieren. Ich bin optimistisch, dass uns das gelingt, mit mehr Menschen, die aus anderen Kulturen zu uns kommen, weiterhin einen starken Platz zu haben.
Interview: Marcel Joppa
Foto: © REUTERS/ Wolfgang Rattay, SPD-Politikerin Högl: „Köln sorgt für Zündstoff“