Blick aus Russland: Misstrauensvotum gegen Merkel

Die sinkenden Zustimmungswerte für CDU/CSU werden auch in Russland kommentiert. Vor allem beschäftigen sich russische Experten mit möglichen Konsequenzen der Flüchtlingskrise für Angela Merkel persönlich. Die Meinungen gehen auseinander.

Wladimir Olentschenko, Europa-Experte am russischen Institut für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen, sagte im Radiosender Kommersant FM, neben dem Einwanderungsproblem gebe es auch weitere Faktoren, die Merkels Zustimmungswerte nach unten drücken. Etwa mache die EU-Sanktionspolitik gegen Russland die deutsche Regierungskoalition kaum beliebter. Ihre Rolle spiele auch die Verlangsamung der Wirtschaft.

Im Vergleich zur vergangenen Woche ist der Zuspruch für die CDU/CSU um 2,5 Prozentpunkte auf 32,5 Prozent zurückgegangen. Das ergab der neue Insa-Meinungstrend, den die „Bild“-Zeitung veröffentlichte.

Wladislaw Below, Leiter der Deutschland-Studien am russischen Europa-Institut, kommentierte für Kommersant FM: „Gewissermaßen geht es um ein Misstrauensvotum gerade gegen die Kanzlerin und in einem kleineren Maße gegen ihre Partei. Im Jahr 2017 wird es eine sehr interessante Situation geben. Wie weit werden die CDU- und CSU-Wähler sowie die vorerst Unentschiedenen bereit sein, Merkel zu unterstützen, falls sie von ihrer Partei bei der Bundestagswahl erneut nominiert wird? Heute ist die Partei zu dieser Nominierung bereit. Es steht allerdings nicht fest, ob sie auch 2017 dabei bleibt.“

Below prognostiziert, der Zuspruch für die Union werde im laufenden Jahr um den aktuellen Stand schwanken. Im kommenden Jahr sei eine Verbesserung möglich, wenn man die Schwerpunkte der Einwanderungspolitik deutlich festlege.

Timofej Bordatschow, Leiter der Europa-Studien an der in Moskau ansässigen Higher School of Economics, sagte der Tageszeitung „Iswestija“: „In ihrem Leben hat Merkel alles erreicht, was man erreichen kann. Sie wurde zur einflussreichsten Politikerin der Welt und schaffte es, dass die EU-Reformen nach einem deutschen Plan umgesetzt werden. Nun hält sie es für ihre Mission, Deutschlands soziale Pflicht zu erfüllen. Demnach soll Deutschland nicht nur das Wirtschafts- und Finanzzentrum Europas sein, sondern auch dessen politische Mitte, die die schwersten Entscheidungen trifft und die Verantwortung dafür übernimmt. Die sinkenden Popularitätswerte machen Merkel keine Angst. Sie wird nicht hastig vorgehen.“

Der Politik-Experte Oleg Barabanow, Programmleiter des Waldai-Forums, sagte dem Fernsehsender TWZ: „Die Stimmung in Deutschland hat sich nicht im Laufe eines Jahres geändert, sondern im Laufe einer Nacht nach jenen Ereignissen in Köln und in anderen Städten. Ich würde dies nicht als Angst und Hass bezeichnen. Wir beobachten eher, dass die deutschen Behörden verängstigt und verwirrt sind. Wir sehen ihre Unfähigkeit, die Situation unter Kontrolle zu halten. Die Polizei war auf jene Ereignisse nicht vorbereitet, obwohl alle Dienste nach den Pariser Anschlägen in erhöhte Bereitschaft versetzt worden waren.“

„2.000 bis 3.000 Migranten verlassen täglich die Türkei, um nach Europa zu kommen. Wenn wir diese Zahl mit 365 Tagen multiplizieren, so sehen wir, dass im Jahr 2016 eine Million Einwanderer zu erwarten sind. Und die meisten von ihnen werden nach Deutschland fahren, denn dieses Land ist am attraktivsten“, so Barabanow. Dies könne Merkel das Kanzleramt kosten und zu einer Stärkung rechts verorteter Kräfte führen.

Foto: REUTERS/ Wolfgang Rattay, Blick aus Russland: Misstrauensvotum gegen Merkel

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