Nigeria: Afrika trifft der Ölpreissturz mit voller Wucht
Zahlreiche Ölstaaten und internationale Oil-Companies stellt der radikal gefallene Preis für das Barrel Rohöl vor Probleme. Die Förderländer des afrikanischen Kontinents trifft der Einbruch ihrer wichtigsten Einkommensquelle jedoch drastisch. In Nigeria steht die gesellschaftliche Stabilität auf dem Spiel.
Die wirtschaftliche Stabilität zahlreicher afrikanischer Staaten hängt existentiell vom schwarzen Gold ab. Unter den wichtigen Förderländern finden sich Schwergewichte wie Nigeria und Winzlinge wie Äquatorialguinea. Aus den Abgaben der dort aktiven internationalen Unternehmen speist sich die politische Balance dieser Länder. Teilweise verfügen sie über eigene staatliche Ölunternehmen. Auch sie sind darauf angewiesen, dass der Verkaufspreis formelle und informelle Abgaben einbringt.
Wie dramatisch sich fallende Preise auf eine Gesellschaft auswirken können, zeigt beispielhaft die größte Volkswirtschaft des Kontinents. Nigeria ist der wichtigste Rohölförderer in Afrika. Seit mehr als 50 Jahren holen British Petroleum, Shell und Exxon hier Unmengen an Erdöl aus dem Boden. Aber das Land wird auch von schweren innenpolitischen Problemen geplagt. In den letzten Jahren eskalierte der Bürgerkrieg im Norden, die Korruption hält die gesamte Gesellschaft fest im Griff und in den Fördergebieten im Süden ist die Umwelt nach Jahrzehnten der rücksichtslosen Förderpolitik durch die internationalen Unternehmen zerstört.
Die politische Balance zwischen allen gesellschaftlichen Gruppen, den politischen Parteien, den Gewerkschaften, dem Militär und den verschiedenen Volksgruppen, hängt davon ab, dass Anteile an den Erdöleinkommen verteilt werden. Auf legalem Weg oder durch Korruption. Diese Abhängigkeit hat praktisch alle anderen Wirtschaftszweige zerstört. Nigeria produziert nichts als Erdöl.
Nigerias Öl-Minister und OPEC-Präsident Kachikwu
Bis vor wenigen Jahren lösten sich in Nigeria die Militärherrscher im Präsidentenamt ab. Die internationalen Ölunternehmen hatten in ihnen einen verlässlichen Partner. Geld gegen Sicherheit hieß die Rechnung. Seit gerade mal 16 Jahren existiert in dem Land eine parlamentarische Demokratie. Eine Justiz, die den Titel „Rechtssystem“ verdienen würde, ist bis heute nicht entstanden. Bei Amnesty International rangieren die nigerianischen Sicherheitskräfte ganz weit unten, da wo die Folterkeller beginnen.
In den Jahren der steigenden Ölpreise, von 2004 bis 2014, erlebte Nigeria sein Wirtschaftswunder. Und ein kleiner Anteil der gigantischen Einnahmen sickerte zumindest im Süden bis zur Bevölkerung durch. Noch immer ist die Zahl von Analphabeten und die Kindersterblichkeit skandalös hoch, aber Nigeria überrundete immerhin Südafrika als größte Volkswirtschaft des Kontinents.
Allerdings gaben Politiker und Beamte das Geld niemals freiwillig heraus. Erst wenn Teile der Bevölkerung auf die Barrikaden gingen, wurde das Säckel geöffnet. Nach einer kurzen Phase der Ruhe seit dem Jahr 2009 begannen in den letzten Wochen wieder die Attacken auf die Pipelines. Am Tag verliert das Land etwa 2,4 Millionen Dollar durch diese Angriffe auf die Infrastrukturen. Am schwersten traf es die Escravos-Lagos-Pipeline.
Mit dem Preis für Öl und Gas bricht nun die heimische Währung, der Naira, ein. Ganze 95 Prozent der Devisenerträge stammten aus Ölverkäufen. Die Regierung hat den Naira bereits mehrmals abgewertet. Jede Abwertung verkleinert die Guthaben und die Kaufkraft der Nigerianer.
Der Staat verfügt gerade noch über Rücklagen von vier Milliarden Dollar. Für ein Land mit der Größe Nigerias ist das nicht einmal Taschengeld. Bis auf weiteres werden auch keine zusätzlichen Einnahmen hereinkommen. Nigeria muss also seine Ausgaben radikal kürzen. Der öffentliche Sektor ist nach wie vor der größte Arbeitgeber. Es ist absehbar, dass der brüchige soziale Kompromiss im größten Land Afrikas nicht mehr zu halten ist.
Kaum zu glauben, aber der größte Ölstaat Afrikas ist hoch verschuldet. Der Schuldendienst wird automatisch steigen, vor allem natürlich die Auslandsschulden. In absehbarer Zeit wird jedoch ein Haushaltsdefizit auflaufen, dass nur mit neuen Schulden überbrückt werden kann. Die internationalen Unternehmen werden umstandslos zur alten Formel der Stabilität zurückkehren können: Sicherheit gegen Geld. Aber von der jungen Demokratie Nigerias wird dann nichts übrigbleiben.
Im vergangenen Jahr besuchte US-Außenminister John Kerry Nigeria. Bis vor kurzem waren die USA der wichtigste Abnehmer für nigerianisches Erdöl. Im Zuge des Fracking-Wunders reduzierten sich die Exporte in die USA fast auf Null. Kerry traf sich nun mit dem alten und mit dem neuen Präsidenten, mit Jonathan und dem ehemaligen Militärherrscher Muhammadu Buhari.
Er versicherte den Regierenden, dass beide Länder weiterhin im Geheimdienstbereich zusammenarbeiten und die USA das nigerianische Militär unterstützen. Dazu gehören natürlich Anti-Terror-Ausbildungsprogramme für die nigerianischen Sicherheitskräfte:
„Unterm Strich wollen wir hier mehr tun“, sagte Kerry. „Aber unsere Fähigkeit, mehr zu tun, wird zu einem gewissen Grad davon abhängen, dass das volle Maß an Glaubwürdigkeit, Transparenz und Ruhe bei den Wahlen gewährleistet wird.“
Foto: Ein Arbeiter in einer illegalen Rohölraffinerie in Nigeria's Öl-Bundesstaat Bayelsa, November, 2012